Innovation in der chemischen Industrie
Leider gibt es in der Literatur bisher keine gute Charakterisierung der Besonderheiten der technologischen Innovation in der chemischen Industrie. Technologische Innovationsprozesse in der chemischen Industrie sind im Vergleich zu anderen Branchen vor allem durch drei verschiedene Aspekte gekennzeichnet:
- Technologisch: Die Produkt- und Prozessinnovation in der chemischen Industrie ist wissenschaftsbasiert[1] und macht einen großen Teil der Forschung und nicht der Entwicklung aus.[2] Ein besonderes Merkmal chemischer Systeme ist, dass sie stark gekoppelt sind und nicht einfach in kleinere Module zerlegt werden können, was ihre Optimierung zu einem hochkomplexen mehrdimensionalen Problem macht.[3]
- Marktstruktur: Je nach Prozessschritt des Stoffstroms, der in der chemischen Industrie abgedeckt wird, sind unterschiedliche Mengen und Arten von technologischen Innovationen möglich. Im Bereich der Basischemikalien sind die Prozesse oft sehr energieaufwendig, so dass die technologische Prozessinnovation im Vordergrund steht, während die potenziellen Produktvariationen eher begrenzt sind.[4] Im Bereich der Feinchemikalien hingegen ist die Suche nach vielversprechenden Kandidaten aus der Unendlichkeit der potenziellen Produktvariationen das primäre Ziel der technologischen Innovation.[5]
- Industrielle Struktur: Die Industrie ist durch einen hohen Automatisierungsgrad gekennzeichnet, der sich in einer großen Anzahl von Sachanlagen für die Produktion und vergleichsweise wenigen Beschäftigten widerspiegelt. Der Grad dieser Automatisierung hängt jedoch von der Größe der Produktion des jeweiligen Produkts ab.[5]
Die Kombination dieser Merkmale der technologischen Innovation und des industriellen Aufbaus machen die chemische Industrie ziemlich einzigartig und beeinflussen nicht nur die Innovationsprozesse, sondern auch den Umfang und die Risikostruktur von Innovationsprojekten.
Da Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten die Ressourcenbasis des Wissens und des potenziellen geistigen Eigentums verändern, ist technische Innovation ein integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. Angesichts der durchschnittlichen Dauer von Forschungs- und Entwicklungsprozessen in der chemischen Industrie ist technische Innovation zudem ein inhärent strategisches Unterfangen. Einen Überblick über Zeitrahmen, Erfolgsquoten und Rentabilität von Produktinnovationsprojekten gibt die obige Abbildung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unternehmensstrategie in der chemischen Industrie durch mehrere gemeinsame Branchenmerkmale geprägt ist:
- Hohe Investitionen aufgrund von Skaleneffekten, insbesondere für die früheren Schritte der Materialverarbeitung,
- entscheidendes verfahrenstechnisches Know-how (patentiert und nicht patentiert),
- lange Produktentwicklungszeiten mit hohem Forschungsanteil aufgrund der Besonderheiten der technischen Entwicklung in der chemischen Industrie,
- lange Produktlebenszyklen (die mit langen Entwicklungszeiten einhergehen) mit einer Nachfrage, die von oft volatilen Kundenanwendungen und Branchen abhängt,
- hohe regulatorische Standards für Produkt- und Umweltsicherheit und
- zeitaufwändige und teure Registrierungs- und Zulassungsverfahren.
In Anbetracht dieser Themen steht die technische Innovation in den Unternehmen der chemischen Industrie im Mittelpunkt ihrer Strategie, deren Inhalt in hohem Maße von dem jeweiligen Markt(teil)segment innerhalb der chemischen Industrie abhängt. In jedem Unternehmen müssen mehrere strategische Innovationsentscheidungen getroffen werden, die die Grundlage für die operativen Aktivitäten bilden. Eine grundlegende Entscheidung ist die Wahl des Umfangs der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Der Anteil der Grundlagenforschung im Gegensatz zur Produktentwicklung ist eine weitere strategische Entscheidung, die sich auf die technologische Innovation und die Risikostruktur des Innovationsportfolios auswirkt. Eine weitere Frage, die es zu klären gilt, ist, ob Forschungsaktivitäten primär intern oder extern durchgeführt werden sollen, wobei die Antwort auf diese Frage von der technologischen Dynamik und dem Unternehmenskontext abhängt. Die Entscheidung über Forschungsfelder und -projekte kann manchmal sogar emergente Strategien beinhalten. Das jeweilige Forschungs- und Entwicklungsfeld bzw. die technologische Innovationsrichtung wird in der Regel durch den Marktsektor des jeweiligen Unternehmens, der die technischen Anforderungen bestimmt, sowie durch die Entwicklungskapazitäten eines Unternehmens bestimmt.
Footnotes
- Pavitt, K. (1984). Sectoral patterns of technical change: Towards a taxonomy and a theory. Research Policy, 13(6), 343–373. https://doi.org/10.1016/0048-7333(84)90018-0.
- Arvanitis, R., & Villavicencio, D. (2000). Learning and Innovation in the Chemical Industry. In M. Cimoli (Ed.), Developing Innovation Systems: Mexico in a Global Context (pp. 189–205). Continuum.
- Marques, J. M. C., Martínez-Núñez, E., & Hase, W. L. (2020). Editorial: Application of Optimization Algorithms in Chemistry. Frontiers in Chemistry, 8. https://www.frontiersin.org/research-topics/9088/application-of-optimization-algorithms-in-chemistry.
- Achilladelis, B., Schwarzkopf, A., & Cines, M. (1990). The dynamics of technological innovation: The case of the chemical industry. Research Policy, 19(1), 1–34. https://doi.org/10.1016/0048-7333(90)90032-2.
- Leker, J., & Utikal, H. (2018). Management Challenges in the Chemical and Pharmaceutical Industry. In J. Leker, C. V. Gelhard, & S. von Delft (Eds.), Business Chemistry: How to Build and Sustain Thriving Businesses in the Chemical Industry (pp. 3–30). Wiley-Blackwell. https://doi.org/10.1002/9781118858547.ch1.
- Miremadi, M., Musso, C., & Oxgaard, J. (2013). Chemical innovation: An investment for the ages. McKinsey & Company.